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Als Christbäume über Ibbenbüren flogen

Zeitzeugenbericht einer 98-jährigen Ibbenbürerin

 

Das vergesse ich im Leben nicht. Walter, mein Bruder war damals 22 Jahre alt. Die Engländer kamen vom Rhein hoch, weil die über den Rhein nach Deutschland und von Deutschland nach Holland wollten. Da mussten wir manchmal in den Keller als Alarm ertönte. Es wurden dann immer die Flutlampen angezündet. Ich bin mir nicht mehr sicher, wie die Dinger hießen. Ich glaub Christbäume? Die wurden dann angezündet und alles war hell erleuchtet. Ich weiß noch, einmal waren wir im Kino, da mussten wir alle raus. Da sagten sie zu uns "Ibbenbüren ist wieder hell erleuchtet". Dann suchten die Engländer immer den Kanal und als Sie ihn gefunden hatten, bombardierten Sie ein Schiff mit Lebensmitteln und allem. Mein Papa ist damals mit dem Fahrrad, da hatten man ja noch keine Autos, da war man umso froher, ein Fahrrad zu haben, dann nach Uffeln gefahren, um die Lebensmittel zu nehmen. Die lagen da ja überall rum und weiter konnte das Schiff auch nicht. Das war das erste Mal seit langem das wir wieder richtiges Essen hatten. Damals gab es ja nicht viel in den Geschäften, da die Engländer ja alles geplündert hatten. Es waren schon Zeiten.
Ich weiß noch, es war die Woche darauf, da gingen sie alle in Ibbenbüren spazieren. Da habe ich meine Mutter gefragt, warum denn alle spazieren gehen. Da sagte sie mir: "Ja, die gucken sich das an, wie das hier aussieht". Es war ja auch viel zu sehen. Bei unserem Haus war die Vorderfront kaputt, unsere Haustür lag unten, hinter der Wohnung. Fenster und der ganze Rest waren auch kaputt. Das Dach hatte auch gebrannt, aber zum Glück ist das wieder ausgegangen. Das haben wir dann auch wieder fertig gemacht. Wir standen damals in Laggenbeck, da sagte ich: "Guck mal, unsere Osningstraße, da brennen all die schönen Häuser". Geschaut haben Sie aber dann alle auf unsere Nachbarn. Die sind alle völlig ausgebrannt. Drei Häuser waren das. Stellen Sie sich das mal vor, der Krieg ist beendet und dann wird man nochmal so bestraft. Alle sagten sie zu mir: "Das haben wir alles dem Hitler zu verdanken. Der hat sich ja damals dann auch selber das Leben genommen und seine Lebensgefährtin gleich auch. Bei den ganz starken Nazis haben Sie damals Kontrollen gemacht. Die, die die sie gefunden haben, haben sie dann aufgehängt. Das waren, glaube ich, vier oder fünf. Die haben sie dann alle im Saal aufgehängt, aber ich weiß nicht mehr welcher Saal das war. Es ist schon so lange her, aber das hat sich so sehr eingeprägt, dass ich das nicht vergessen kann. Mein Nachbar, da war damals eine ältere Dame so um die 70 Jahre. Mit der habe ich mich gerade über Nazis unterhalten als mein Nachbar zu ihr sagte: "Das eine will ich ihnen sagen, wenn Sie nicht so alt wären, dann gehören sie da hin, wo sie hingehörten".
Damals wurden die Menschen einfach so abgeholt und zur Zeche gebracht. Mein Vater, der hat mitbekommen, wie sie dort auch Ausländer zum Arbeiten hingebracht haben. Einer von den Arbeitern hat dann wohl irgendetwas gemacht, da hat der Deutsche, der Nazi, den Arbeiter richtig ausgeschimpft. Er sagte dann noch: "Diese Arbeiter, pfui". Den haben Sie dann damals abgeholt und weggebracht. Die Frau hat nicht mal Bescheid bekommen, das einzige, was sie wusste, war, dass er gestorben ist. Sie wusste nicht mal, wo er begraben war. So war das damals, man musste sich sehr in Acht nehmen, mit dem Reden und allem.
Pieter, ein Bekannter, der war im Krieg in russischer Gefangenschaft. Seine Frau mit den vier Kindern saß zu Hause. Das Haus von ihr brannte und mein Vater wollte noch Betten und sowas rausholen, aber dann wurde er von unseren Preußen beschossen. Sie war alleine mit vier Blagen und er ist in Gefangenschaft gestorben, der arme kleine. Man hat schon so manches erlebt.
Ich habe nach dem Krieg dann meinen Mann kennengelernt. Er wurde damals aus Schlesien vertrieben. Die haben alles verlassen müssen. Sein Vater war damals auch Soldat und auch Fahrer. Man hat ihn in seinem Auto gefunden. Ich weiß nicht, wie er das gemacht hatte, irgendwas mit Gas. Er ist so vergiftet worden und eingeschlafen. Er hatte acht Geschwister, wovon der älteste im Krieg schon gefallen war und drei weitere, die immer noch im Krieg waren. Sein jüngstes Geschwisterchen war zu der Zeit vier Jahre alt. Mit seiner Mutter habe ich auch immer viel Zeit verbracht. Mit ihrer Tochter stehe ich bis heute in Verbindung. Ich war da vor ein paar Tagen noch, als sie 80 Jahre alt geworden ist. Wir haben hier dann gebaut und mein Schwager hat dann meine Schwiegermutter zu sich genommen. Na ja, es waren schon Zeiten damals.

 

Die Geschichte der zum Zeitpunkt 98-jährige Frau, die bei Kriegsende mit ihrer Familie in der Osningstraße in Ibbenbüren lebte, schrieben Eva Schneke und Lilly Kähler von der Gesamtschule Ibbenbüren auf.

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