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Das blutige Ende einer nächtlichen Schmugglerfahrt im Winter 1809

Gravierende Auswirkungen der französische Kontinentalsperre im "Alten Schmugglergebiet"

Schmukkelers Holzschnitt Hermann Schlatt 1957. Nächtliche Schmuggelaktion.
 

Unter den Schlägen des sieggewohnten Kaisers Napoleon war 1806 das “Heilige Römische Reich Deutscher Nation“ zusammengebrochen. Weite Teile des alten Kaiserreiches waren von französischen Truppen besetzt, und über ein Dutzend Territorien hatten sich vom Reich gelöst und sich zum Rheinbund vereinigt. Sie sahen nun Napoleon als ihren Kaiser und Protektor an, der ihnen ihre volle Souveränität versprochen hatte. Neben dem Herzogtum Cleve zählte auch das kleine Fürstentum Salm zu diesem Bund, das von Bocholt aus verwaltet wurde.

England niederzuringen war ein Unternehmen, das sich militärisch, so schien es, wohl nicht verwirklichen ließ. So verfügte Kaiser Napoleon im November 1806 ein Dekret über eine Kontinentalsperre. Ab sofort sollte jeglicher Handel, jeder Post- und Schiffsverkehr mit dem Inselreich und seinen Kolonien unterbunden werden. Napoleon verpflichtete alle europäischen Staaten, soweit er über sie Macht hatte, diesen wirtschaftlichen Boykott zu unterstützen.

Seit Juli 1806 verlief eine tiefgestaffelte Zolllinie vom Rhein bis nach Bremen entlang der Batavischen Republik, dem späteren Königreich der Niederlande, und dem Fürstentum Salm. Ein Heer französischer Zollbeamter, die von der Bevölkerung schräg angesehen und Douanen genannt wurden, sorgten Tag und Nacht dafür, dass die englischen Produkte über Holland nicht ins Land kamen. Unerwartet und unangemeldet für die fürstlich Salmsche Regierung in Bocholt trafen am 19. August 1806 mehrere hundert französische Grenzkontrolleure in Werth, Bocholt, Oeding, Stadtlohn, Ahaus und in anderen Dörfern ein. Der französische Douanendirektor forderte die Bürgermeister und Vorsteher auf, sich um eine standesgemäße Unterkunft seiner Grenzbewacher zu kümmern. Später forderten diese von ihren dienstbaren Quartiersleuten noch eine freie Unterkunft und von anderen Bewohnern die Bereitstellung von Fuhrwerken für den Abtransport der von ihnen beschlagnahmten Schmuggelware. Die Beschwerden der Bürger über die dreisten Forderungen der Zollsoldaten blieben unbeantwortet.

Die Rheinbundstaaten kamen vom Regen in die Traufe. Nun hatten sie die Auswirkungen der französischen Zollpolitik voll zu tragen und mussten die Einfuhr französischer Waren dulden, ohne von diesen Landeszölle erheben zu dürfen. Durch diese Handelsblockade stiegen die Preise für Kolonialwaren enorm, und diese Verteuerung führte zum Schleichhandel und zum organisierten Schmuggelgeschäft.

An diesem gefährlichen, aber auch gewinnbringenden Geschäft beteiligten sich fast alle Schichten der Bevölkerung. Es waren aber nicht nur die organisierten Gruppen, die diesen Schmuggel gewerbsmäßig betrieben, sondern auch ehrbare Kaufleute machten mit und steckten dabei hohe Gewinne in ihre Taschen. Über bekannte Wege und stille Pfade, durch Wälder und Felder, führten Bauernsöhne, Handwerksgesellen, Knechte und selbst mutige Mägde vollbeladene Karren mit geschmuggelten Waren. Andere trugen für die “Unternehmer“ Warenbündel und Säcke durch die bewachte Zolllinie.

Für diese Dienste gab es nicht nur Geld, sondern auch Kaffee, Zucker, Tabak, Reis, Gewürze und andere kostbare Produkte. Sie ließen sich für gutes Geld wieder absetzen, denn viele Leute im Lande mussten in dieser Zeit auf die “Kleinen Genüsse des Lebens“ verzichten. Statt des gewürzten Bohnenkaffees tranken sie schwarze Zichorienbrühe, und die Männer bliesen aus ihren Pfeifen den stinkenden Qualm einheimischer Kräuter. Besonders schmerzlich empfanden die Landesbewohner den Mangel an Rohrzucker, der aus Übersee kam und dessen Preis in drei Jahren um das Vierfache gestiegen war. Der Kaffeeschmuggel ins Westfälische oder Bergische Land war die einzige Bezugsquelle für die großen Kaffeeverkäufer in den deutschen Ländern.1

Am 1. Dezember, am Freitag vor dem ersten Adventssonntag 1809, schlich ein Gerücht durch Borkens Straßen und Gassen. Aufgeregt erzählten die Bürger von einem blutigen Ereignis, das sich in den frühen Stunden des Tages in Hoxfeld ereignet haben soll. Der Müllermeister von der Pröbstinger Mühle sei von Douanen angeschossen  und schwer verletzt worden.

In der Bauerschaft Hoxfeld hatten ein paar Leute an diesem Wintermorgen gegen 7 Uhr die Schüsse gehört, die aus Hebings Stegge abgefeuert wurden. Bald danach klopfte Franz Ähling heftig an die Tür des Kötters Hebing. Er forderte den Vorsteher der Gemeinde auf, eilig sein Pferd in die Karre zu spannen, um den schwerverletzten Müllermeister Niehsing, der blutend in der Stegge liege, zu holen. Im Trab fuhren sie vom Hof zu dem beschriebenen Ort. Dort am Wegesrand fanden sie den in einer Blutlache liegenden Müller. Einige Männer umstanden hilflos den Schwerverletzten, den sie vorsichtig auf die Karre legten. Sie fuhren zurück zum Hof Hebing, und eine Blutspur markierte ihren Weg. Im Hause Hebing legten sie den erbärmlich klagenden Verletzten, dessen Worte aber von keinem verstanden wurden, ins Bett.

Franz Ähling schickte von den Männern, die nun ins Haus kamen, den Kötter Niehoff nach Borken. Dort sollte er sich um einen Priester und einen Arzt bemühen und dem Gografen die Anzeige machen. Obschon alles recht geschwind geschah, schien die Zeit ihrer Ankunft für die hilflos am Bett stehenden Leute recht lang. Kanonikus Schriewer und Dr. Mönnig betraten die Stube. Der Doktor stellte bei dem leichenblassen Mann fest, dass der Pulsschlag kaum noch zu spüren war. Zu groß war der Blutverlust. Als eiligst ein zweiter Bote von Borken ins Haus kam und die von Dr. Mönnig geforderte Medizin brachte, war der Verletzte bereits verstorben. Zwischen 11 und 12 Uhr ging sein Leben unter heftigen Krämpfen und Schmerzen zu Ende.

Dann traf noch der Fürstlich Salmsche Sanitätsrat mit dem Wundchirurg Wienbrügge in dem Totenhaus ein. Beide untersuchten den entkleideten Toten. Die Gewehrkugeln der Douanen hatten diesem die Unterschenkelschlagader und die Bauchschlagader zerrissen, und der große Blutverlust hatte zu seinem Tod geführt. Die beiden Ärzte gingen nun zu dem Haus des Ölmüllers Feldhaus, in dem zwei Verwundete in den Betten lagen. Bei der Untersuchung stellte der Sanitätsrat fest, dass der Fuhrknecht Johann Heinrich Aehling eine Hautwunde unter der linken Achselgrube und eine Wunde auf der Brust hatte. Sie stammten ebenso wie seine Wunden an seinem linken Ellenbogen von den Bajonettstichen der französischen Zöllner. Obschon dieser ständig Blut spuckte, über Brustschmerzen klagte und vom Fieber befallen war, sah der Untersuchende den Zustand des Verletzten nicht als lebensgefährlich an. Dem Schmiedegesellen Prattenborg, der in der Pröbstinger Schmiede dem Meister Jürgens diente, ging es schlechter. Er hatte zwei Schusswunden am Bauch erlitten, der starkgeschwollen war. Er schüttelte sich im Fieberwahn und sein Puls ging schwach. Sein Zustand war bedenklich, konstatierte der Arzt.

Am Dienstag, dem 5. Dezember 1809, wurde der Pröbstinger Müller Niehsing, wohl unter großer Anteilnahme der Hoxfelder und Borkener, auf dem neuen Friedhof vor dem Neutor durch ein “ehrbares Begräbnis“ bestattet. Er war 27 Jahre alt und hinterließ eine Frau mit Kindern. Einer der Borkener Kanoniker schrieb in das Totenbuch, dass er von “französischen Douanen todt geschossen wurde…“

In den folgenden Wochen wurde noch oft von dieser Bluttat gesprochen, die sich nicht weit vom Hause Pröbsting abgespielt hatte. Die Salmsche Regierung begann nunmehr mit der Vernehmung der Beteiligten und der Zeugen. Nicht nur der Vorsteher Hebing, seine Frau und seine Tochter, sondern auch andere Leute aus der Bauerschaft hatten an diesem Morgen die Schüsse gehört. Dabei dachte der Ölmüller Gerhard Bernhard Feldhaus, dass es in Hebings-Stegge “schrecklich hergehen müsse…“ Er hatte keine Ruhe und machte sich auf den Weg dorthin. Hinter der Pröbstingschen Allee begegneten ihm zwei Männer mit schmerzverzerrten Gesichtern und blutiger Kleidung. Sie kamen aus Hebings-Stegge. Es war der Schmiedegeselle Prattenborg und Johann Heinrich Aehling, die bei ihrer Flucht von der zweiten Salve getroffen wurden. Der Ölmüller schickte die beiden heftig blutenden Männer zu seinem Wohnhaus und begab sich eiligst zu dem beschriebenen Tatort, wo sein verletzter Schwager liegen sollte. Bei seiner Ankunft erfuhr er von den anwesenden Männern, dass dieser bereits zu Hebings Kotten gebracht worden sei.

Die Schmuggelware über schmale Pfade zu bestimmten Plätzen zu tragen oder sie mit Fuhrwerken über einsame Wege zu fahren, brachte jedem gutes Geld ein. Aber auch diejenigen, die sich als Träger verdingten, gingen dabei nicht leer aus. So hatten sich in dieser Winternacht auch sechs junge Männer aus Hoxfeld und Westenborken auf den Weg gemacht, um irgendwo “zu tragen“. Es schien aber so, dass in dieser Nacht alle Schmuggelgüter über andere Wege fuhren oder gingen. Erst in den frühen Morgenstunden, als sie schon wohl auf dem Heimweg waren, stießen sie in Hebings-Stegge auf diese beiden Fuhrwerke. Auf dem ersten Wagen erkannten sie den Müllermeister Johann Niehsing und auf dem zweiten Wagen saß sein Fuhrknecht Johann Heinrich Aehling. Sie transportierten holländische Ware nach Osten und Süden. Der Schmied Prattenborg sprang auf den zweiten Wagen und die übrigen fünf Männer liefen sichernd und horchend vor und hinter dem mit Schnupftabak-Säcken beladenen Wagen. Als diese Transportkolonne des Ende der Stegge erreicht hatte, wurde sie von den französischen Douanen entdeckt. Sie standen im Dunkeln vor ihnen und forderten sie zum Halten auf. Die aufgeregten Zöllner sprangen vor die ersten Zugpferde, und als eines der unruhig gewordenen Pferde zur Seite sprang, feuerten die Franzosen den ersten Schuss auf das Tier. Als dieser Schuss fiel, so berichtete später ein Teilnehmer, “seien alle laufen gegangen“. Dann sprang auch der Müllermei-ster vom Wagen und ging auf die wütenden Douanen zu. Er redete mit ihnen, um die wertvolle Schmuggelware zu retten. Sein provokatives Auftreten führte wohl zu einem Gerangel, in dem einer der Douanen zwei Schüsse auf ihn feuerte. Das war der Augenblick, in dem die beiden Fahrer vom zweiten Wagen sprangen, als sie von einem der Franzosen mit Bajonettstößen attackiert wurden und sich in die Büsche schlugen. Sofort riss einer der Douanen sein Gewehr hoch und feuerte zwei Schüsse den Fliehenden nach, die etwa 15 Schritte von ihm entfernt waren.

Der schwerverletzte Müllermeister Niehsing blieb einige Zeit dort am Wegesrand in seinem Blut liegen, und die Douanen führten die beiden Wagen mit dem Schmuggelgut fort.

In den ersten Wochen des neuen Jahres wurden auch die drei Douanen von ihrer Dienststelle in Stadtlohn vernommen, und Ende Januar 1810 erhielt die Salmsche Regierung einen Bericht über diese blutige Tragödie. In diesem hieß es, dass der Wagenführer auf die mehrmaligen Schießdrohungen der Douanen und ihrer Aufforderung sich zugleich mit seinen Leuten vom Transportwagen zu entfernen, diesen mehrmals erwidert habe. „Schießen? Das geht so nicht!“ Als seine Leute fortliefen, da habe er sie zurückgerufen, wohl mit der Absicht, die Ware zu retten. Das Stoßen mit den Bajonetten und das Schießen habe er dadurch veranlasst. „So strebte  dieser bis an seinem Falle für seine Freiheit“, schreibt ein Zeitgenosse über den erschossenen Müllermeister.

 

[Anmerkung1] Spätestens an dieser Stelle ist ein Bezug auch zu unserer Region, d.h. zu Raesfeld erkennbar. Raesfeld war Durchreiseland für die Schmuggelware aber sicherlich gab es auch lokale Abnehmer, zumindest Nutznießer. Nicht ohne Grund wurde in Erve Kots, Liefelde, Niederlande dem jährlichen Standort für den Mittwinterabend, der Arbeitsgemeinschaft/Stichting Achterhoek- Westmünsterland im Jahre 1986 das Thema “Schmuggler“ behandelt. In seiner unnachahmlichen Art trug “Manes Schlatt“ aus Bocholt seine Schmugglergeschichten vor, den der Holzschnitt mit der nächtlichen Schmugglerszene widerspiegelt. Jeder Teilnehmer an der Veranstaltung erhielt zur Erinnerung den folgenden Nachdruck des Holzschnittes und einer Schmugglergeschichte]

 

aus: Heimatkundliche Blätter des Heimatvereins Raesfeld e.V. Nr. 116/2017 ; erstmals erschienen in: Jahrbuch des Kreises Borken 1993, v. A. Friedrich

Quellen: Staatsarchiv Münster, Fürstentum Salm-Salm XII - Nr. 39, Pfarr- und Kapitelsarchiv Borken, Sterbeverzeichnis - “Schmukkelers“ aus: Sonderdruck: Mittwinterabend 1986 in Erve Kots, Achterhoek-Westmünsterland

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