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Der Reisepass meines Vaters

Ganz normaler Alltag im Grenzgebiet

Reisepass Gerhard Korecker 1.

Mein Vater Gerhard Korecker wurde 1936 geboren und war Weberlehrling in Nordhorn. Am 23. Juli 1953 wurde für ihn der vorliegende Reisepass ausgestellt. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete er als Färber. Es gab Wochen, wie aus den Stempeln im Pass hervorgeht, in denen er fast täglich die Grenze passierte. Er setzte sich aufs Fahrrad und fuhr über die Grenze, holte Kaffee, Eier und Zigaretten. Mit dem Verkauf der Waren auf der deutschen Seite schuf er sich einen kleinen Nebenerwerb. Die Passeinträge spiegeln das Leben der Jugendlichen an der Grenze in diesem Alter wieder. Irgendwann wurde er auch erwischt, weil er mehr als die erlaubte Menge an Waren mit über die Grenze brachte. Als Strafe wurde für eine Weile eine Einreisesperre ausgesprochen.

Selber habe ich 1978 ein Schulpraktikum in der Fabrik, in der mein Vater gearbeitet hatte, gemacht. Für meinen Praktikumsbericht wurde ich seitens des Lehrers getadelt, weil ich mich ziemlich herablassend über die Fabrikarbeit ausgelassen hatte. Ich beschrieb die Arbeit als laut, stickig, anstrengend und den Umgang untereinander als grob. Auch merkte ich an, das ein beruflicher Werdegang in der Fabrik für mich keine Option darstelle. Trotzdem schloss ich den Praktikumsbericht mit folgendem Satz, der mich noch heute sehr beschäftigt.

"Selten habe ich so viele intelligente Menschen auf engstem Raum gesehen!"

Selbst nach vielen Jahren treibt mich dieser Moment um, wo ich als Jugendlicher nicht die Worte finden konnte, was ich wirklich ausdrücken wollte. Es war das Gefühl von hart arbeitenden Menschen, die in den Pausengesprächen auf jede Frage die korrekte Antwort wussten:
Die einen Grad an Allgemeinbildung hatten, der mich überraschte.
Die mich im Kopfrechnen beeindruckten.
Denen ich schlicht und ergreifend einen anderen beruflichen Werdegang zugetraut und gewünscht hätte.
Es war die innerliche Frage nach vertanen Chancen und ganz viel Respekt an eine Generation, die nicht frei über ihre Zukunft entscheiden durfte. 

Es war ein Stück eigener Familiengeschichte, über dessen Einblick ich heute sehr dankbar bin.

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